Ihr Lieben
Nein, ich werde euch leider nichts über das Wiedersehen mit R. erzählen können.
Als M. und ich bei der Wunderwaffel einliefen, wartete Frau Schw. bereits auf uns. Ob ich ihr Mail noch nicht gesehen hätte?, will sie wissen. Nein, antworte ich (denn ich komme direkt vom Termin mit dem Journalisten, der übrigens sehr zufriedenstellend verlaufen ist).
Sie habe R. vor einer halben Stunde angerufen. Er sei mit Schulkollegen im Fifa-Museum in Zürich und habe den Termin vergessen. Es tue ihm sehr leid (dass es Frau Schw. leid tat, war deutlich hörbar war). Ob wir trotzdem gemeinsam ein Eis essen gehen und die Lage besprechen wollten?, fragt Frau Schw. Nein, (nach Eis ist mir gerade gar nicht), aber einen Kaffee könnten wir doch trinken gehen.
Also raus aus der ersten Starbüchse (wo ich im Bahnhof mit dem Journalisten gesessen habe) und rein in die Nächste (Ecke Hirschengraben), und nochmals eine amerikanische Badewanne mit Vanillegeschmack. Ob ich danach überhaupt noch schlafen könne, will Frau Schw. wissen. Wohl schon (keine Ahnung, ich hoffe es! Aber die süsse Badewanne scheint mir jetzt gerade das Richtige zu sein).
Es ist unübersehbar, wie unrecht es der armen Frau Schw. ist. Ich kenne das Gefühl, habe ich doch auch schon eine Kinderzusammenführung mit einem Klienten begleitet, die dann kurzfristig geplatzt ist. Sehr unangenehm, kann ich euch sagen, denn man leidet mit dem enttäuschten Klienten mit.
Mir ist es wichtig, Frau Schw. zu entlasten. Sie kann gewiss nichts dafür. Über die Gründe, weshalb das Fifa-Museum heute dazwischengekommen ist, könnten wir nur spekulieren, was im Endeffekt nicht wirklich etwas bringt. Deshalb trinken wir mit Frau Schw. Kaffee, Oak bekommt sein Abendessen und wir unterhalten uns über diverse Themen.
Die Jungs (R. und seine Cousins) haben sich letzte Woche zu einer Party bei den Grosseltern getroffen. Am Ostersonntag stellte sich heraus, dass dabei auch fleissig Fortnite gezockt worden ist. Die Playstation ist zudem jetzt auch im Haus des Vaters, weswegen es am Sonntag Abend zwischen Paps und mir noch zu einer lebhaften Diskussion gekommen ist.
Die Ausrede: „Wir müssen R. jetzt nach all dem einfach auch etwas z’lieb tue“, die meine Mum dann noch vorbrachte, zieht bei mir nicht. Auch nicht, dass die nicht funktionierende PS mit Hilfe der nun von meinen Eltern ins Haus des Vaters gewanderte PS funktionstüchtig gemacht werden solle, fand ich wenig überzeugend. Dass der Vater immer von irgendwo spotbillig halb kapputes Zeug heimbringt, was dann entweder wie im Brockenhaus herumfliegt oder vom Grossvater repariert werden muss, kennen wir. Es kann nicht wirklich unser Problem sein, finde ich.
Nun zurück zum Treffen. Fortnite bringt mich auf die Frage, wer eigentlich Verantwortung für R.s Medienkompetenz übernimmt. Schliesslich scheint er auch über ein unlimited Handy-Abo zu verfügen, und was heutzutage unter Sechstklässlern auf Schulhöfen herumgeschickt wird, ist ja bestens bekannt.
Normalerweise thematisiere die Schule den Medienkonsum erst, wenn einzelne Schüler auffälliges Verhalten zeigten, Süchte oder Polizeianzeigen zum Beispiel. Ob man denn wirklich so lange warten müsse, werfe ich ein. Ob denn der (momentan wohl inaktive) Familienbegleiter das Thema denn nicht einmal mit dem Vater aufgreifen könne, will ich wissen. Frau Schw. will das nun aufnehmen, denn ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, dass sich im Haus des Vaters überhaupt jemand mit dem Thema befassen kann. Vielleicht irre ich mich, aber selbst für uns internet- und mediengewohnte Eltern ist der Umgang von heutigen Jugendlichen mit Medieninhalten eine Herausforderung. Auch wir können hier kaum auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, weil diese Möglichkeiten in unserer Jugend noch gar nicht existiert haben…
Kann sein, dass ich mir da bereits schon wieder viel zu viele Gedanken mache. Aber diese Fragen treiben mich als Mutter eben um, zumal R. ja jetzt auch langsam in die Pubertät kommt und seine Sexualität zu entdecken beginnt.
Klar ist mir bewusst, dass Eltern nur begrenzt Möglichkeiten haben, diese Entwicklung zu begleiten. Die Peers werden zunehmend wichtiger, an ihnen orientiert sich R. jetzt immer stärker. Aber der Gedanke, dass er auf seinem Weg keine oder zumindest fast gar keine Begleitung haben könnte, macht mir eben doch Sorgen. Allein mit Verboten kommt man der Problematik kaum bei. Da müssen ab und zu Gespräche auch über delikate Themen geführt werden…
Das Gespräch mit Frau Schw. verläuft angenehm; neben ernsten Themen lachen wir auch oft. Frau Schw. ist es wichtig, möglichst bald ein neues Treffen vereinbaren zu können. Über WhatsApp findet sie dann mit R. einen neuen Termin am kommenden Dienstag. Okay! New try, new luck!
Wir verabschieden uns gegen halb sechs Uhr; gemeinsam mit M. mache ich mich im Zug auf den Weg nach Hause. Erst, nachdem wir uns am Bahnhof getrennt haben, beginnt die Mühle in meinem Kopf zu arbeiten, obgleich ich mir fest vorgenommen habe, sie NICHT anlaufen zu lassen.
Ist R. tatsächlich im Fifa-Museum? Ist es ein Zufall, oder wurde das im Hintergrund arrangiert? Kurz kommt mir der Gedanke, ob vielleicht sogar Y.s Vater wieder die Finger mit im Spiel hat. War R. unser Treffen denn wirklich so unwichtig, dass er es einfach vergessen hat?
Bis kurz vor zu Hause ist das Wutlevel in meinem Innern bis kurz vor den Siedepunkt angestiegen. Einen Bauern, der seinen Transporter in den Weg gestellt hat und mich nun überbehütend führen möchte, raunze ich blöd an. Zu Hause bitte ich meinen Mann um eine Zigarette. Als er mir sagt, ich solle meine nassen Hände nochmals trocknen, fahre ich ihn ebenfalls ganz ungerechtfertigt an. Scheisse!
Erst, als ich das Nikotin intus habe, fahre ich wieder runter. Es bringt nichts, wenn ich mir jetzt den Kopf über das gescheiterte Treffen zerbreche! Damit mache ich mich nur verrückt.
Ich tue das, was ich in solchen Situationen immer tue: Ich beantworte ein paar Mails für die Aktionsgruppe. Ablenken! Weg mit den kreisenden Gedanken.
Und dann beginne ich, den Blog-Beitrag hier zu schreiben.
New try, new luck!
Nach zwei Jahren und neun Monaten des Wartens sollte eine weitere Woche eigentlich nicht wirklich ein Problem sein…Aber ich kann es nicht leugnen: Etwas von meinem Optimismus ist verflogen. In die freudige Erwartung hat sich ein bitterer Beigeschmack gemischt, es hat sich erneut die Unsicherheit eingeschlichen.
Hoffen wir, dass meine Zweifel sich nächste Woche in Wohlgefallen auflösen werden! Aber irgendwie war doch alles zu schön, um tatsächlich wahr zu sein…