20.04.2021 (Abend)

Ihr Lieben

Heute fand er statt, der Termin bei R.s Psychologen Zuber auf der Erziehungsberatung Bern.

Ich weiss nicht recht, wie ich euch dieses Debakel am ehesten schildern soll. Wollen wir mit dem Ende anfangen, einem ganz und gar kindischen Machtkampf, den ich diesmal für mich entschieden habe, indem ich in Zubers Büro so lange sitzenblieb, bis der Stellenleiter kam und mir seine Mail-Adresse gab? Puh! Mein armer Vater hat sich sehr schlimm schämen müssen! Sorry, Paps, und wieder einmal merci, dass du doch bis zum Ende mit mir ausgehalten hast!

Oder sollten wir nicht doch besser mit dem Drama vom Juni 2019 beginnen, das sich auch damals schon unter der Leitung des Psychologen Zuber abspielte? Wohl eher, denn im Nachhinein komme ich nicht umhin, mir einzugestehen, dass diese Erinnerungen mein Auftreten Heute – zugegebenermassen nicht immer konstruktiv – beeinflusst haben.

Im juni 2019 hatten R. und ich schon fast ein Jahr zermürbende Suche nach Lösungen hinter uns. Da waren die Schulprobleme gewesen, das Einkoten, die plötzlichen Aggressionen gegen die Schulkameraden. Ich rannte von einem erbosten Elternpaar zum Nächsten, fand im Gespräch mit R. und dem geschlagenen Gspänli heraus, dass da eigentlich gar kein Grund für die Wutausbrüche war bzw. dass der Grund nicht beim betroffenen Gspänli lag.

Auch mit den Lehrern gab es zunehmend Schwierigkeiten. Klar, da waren Lehrerwechsel, gepaart mit einer komplexen Klassendynamik, angeführt von Jungs, die sich gegenseitig hochschaukelten, doch R.s Aufsässigkeit ging über das vertretbare Mass hinaus. Zu Hause führten wir Gespräche, mit den Lehrkräften verbrachte ich Stunden am Telefon. Als mir im Dezember 2018 schliesslich ein Klassenwechsel vorgeschlagen wurde, war ich erleichtert.

Anfang Januar verbrachten wir eine wunderschöne Woche auf den Kapverden, Ferien mit R., an die ich mich Heute mit Wehmut erinnere. Das Eingewöhnen in der neuen Klasse ging anscheinend gut voran, R. machte langsam neue Bekanntschaften. Und dann kam das verhängnisvolle Gespräch mit Frau Chaudhary am 23. Januar 2019 – und das Einkoten begann von Neuem.

Die Kinderärztin, die ich umgehend aufsuchte, verwies uns sogleich an einen Kinderpsychologen. Dass ein Kind mit neun Jahren plötzlich wieder begann, sich einzukoten, fand auch sie höchst alarmierend.

Danach die Termine bei Dr. Viktor Schönfeld, einem Kinderpsychologen in Bätterkinden, der in einem alten Bauernhaus residiert. R. hatte kaum Sitzungen mit Dr. Schönfeld allein; die meiste Zeit wurde ich beigezogen und schilderte dabei natürlich meine Sicht der Dinge. Dabei fühlte ich mich im Nachhinein unwohl, lautet doch das oberste Gebot, nie vor dem Kind schlecht über einen anderen Elternteil zu sprechen.

Dr. Schönfeld lud auch den Vater ein, doch der begann rasch, die Therapie zu hintertreiben. Zum Beispiel unterstellte er R.s Grossvater, er habe R. eigenmächtig dorthin gebracht. Dass er R. zuvor über Monate dazu angehalten hatte, über seine Hochzeit und den gep’lanten Familiennachzug Stillschweigen zu bewahren, während ich – alarmiert durch R.s verändertes Verhalten – von einem Termin zum nächsten rannte, wird bis Heute unterschlagen. Auch die Überweisung über die Kinderärztin wurde zunächst bestritten und dann vom Gericht ebenfalls unter den Teppich gekehrt, obgleich hierfür Beweise vorliegen.

Doch die Saat des Vaters trug rasch Früchte. Bald schon sträubte sich R., die Termine bei Dr. Schönfeld wahrzunehmen. Im Mai sagte mir R. wörtlich auf den Kopf zu: „Ich bin gar nicht krank. Du bist es, die psychische Probleme hat, du warst ja auch schon in der Klinik.“ Richtig, antwortete ich R. da, er sei völlig gesund, doch seine Eltern hätten ein Problem miteinander, was dringend gelöst werden müsse.

Schliesslich, bei einem der wenigen Augenblicke allein bei Dr. Schönfeld, sagte R., er wolle lieber beim Papa leben. Das war Ende Mai 2019, und Dr. Schönfeld beendete – nachdem der Vater sich geweigert hatte, zu kooperieren – die Behandlung, ohne darüber einen Bericht zu verfassen.

Weil von Beiständin Chaudhary, die sich nach dem Verschweigen der geplanten bzw. stattgefundenen Heirat ja noch auf die Seite des Vaters, welcher das Kind als Geheimnisträger missbraucht hatte, geschlagen hatte, erfahrungsgemäss nichts zu erwarten war, liess ich R., Anfang Juni schliesslich ziehen mit den Worten, er solle doch eine Weile beim Papa wohnen, wenn er dies so gerne möchte. Ich liess ihn gehen, weil ich nichts davon halte, an einem Kind herumzuzerren.

Natürlich legte mir Beiständin Chaudhary diese Entscheidung in ihrem Bericht von Ende Juni wieder als Wankelmütigkeit aus. Zunächst die Sache jahrelang laufen lassen und Einen auf Vogel Strauss machen, dann aber – wenn die Mutter schliesslich Initiative zeigt -, wieder an ihr herumkritisieren. Naja…Nathalie Chaudhary eben. Langjährige Beiständin, besondere Merkmale: selbst kinderlos.

Vierzehn Tage verbrachte R. bei seinem Vater. Wir telefonierten, sahen uns auch zwischendurch. Bis ich an zwei aufeinanderfolgenden Tagen notfallmässige Anrufe vom Schulsozialarbeiter erhielt, weil R. – vollkommen ausser sich – auf Schulkameraden losgegangen und nicht mehr zu beruhigen war.

In diese furchtbare Zeit fiel mein erster Termin beim Psychologen Johannes Zuber von der Erziehungsberatung Bern. Auch da schon begleitete mich mein Vater.

Damals war ich nur noch ein Nervenbündel. Seit Monaten schlief ich nicht mehr richtig, der Sozialdienst zahlte mir seit Ende Januar kein Geld mehr aus. Hinzu kamen die wahnsinnigen Sorgen um R., gepaart mit dem Gefühl, dass das Kind, welches ich acht Jahre zu kennen geglaubt hatte wie mich selbst, mir unaufhaltsam entglitt. Ich war vollkommen verunsichert.

Was mir wohl am meisten zu schaffen machte war die Erkenntnis, dass der Vater es über ein halbes Jahr lang geschafft hatte, dass R. Dinge vor mir verheimlichte, die offensichtlich auch für sein eigenes Leben entscheidend waren. Auch zu dem Zeitpunkt, als ich Johannes Zuber erstmals aufsuchte, musste R. ein kleines Geheimnis mit sich herumtragen: Die neue Stiefmutter war bereits schwanger.

Ehrlichkeit halte ich für einen Grundpfeiler in der Erziehung, ja für das Gelingen zwischenmenschlicher Beziehungen überhaupt. Dabei ist Ehrlichkeit nicht immer nur angenehm, sei es nun sich selbst oder Anderen gegenüber.

Stets hatte ich R. versichert: „Schau, R.! Ganz egal, was es ist. Nichts kann schlimm genug sein, als dass du es deiner Mama nicht erzählen könntest. Wir werden immer gemeinsam eine Lösung finden.“ Natürlich hatte ich dabei entweder Schabernack in der Schule oder aber dann andere Formen des Missbrauchs, welche ebenfalls auf „kleinen Geheimnissen“ beruhen, auf dem Radar. Mit seinem Missbrauch R.s als Geheimnisträger hatte der Vater das Vertrauen, welches ich ihm die ganzen Jahre über – ungeachtet von wiederkehrenden Differenzen – entgegengebracht hatte, zerstört. Einfach Unsäglich, dass er es fertigbrachte, dass sich R. mit ihm gegen mich verbündet hatte! Welchen Preis R. dafür zahlte, hatte ich im vergangenen Jahr ja nun zur Genüge miterleben können!

All das versuchte ich Herrn Zuber in dieser Dreiviertelstunde im Juni 2019 zu erzählen. Ich gebe zu, dass ich mich schriftlich wesentlich besser und strukturierter auszudrücken vermag als mündlich; wahrscheinlich war das, was da im Juni 2019 aus mir heraussprudelte, nicht wirklich zusammenhängend. Eines ist aber sicher: Handelt es sich beim Psychologen Johannes Zuber nicht um einen emotionalen Eisklotz, dann können ihm meine Angst und meine Verzweiflung nicht entgangen sein.

Und was erwiderte dieser Herr Zuber nach einer Dreiviertelstunde auf meinen Bericht? „Also ich weiss nicht, was Sie mir da erzählen. So etwas habe ich noch nie gehört…“

Weg! Nur weg hier, bevor die Tränen anfangen zu fliessen. Ich springe auf, suche nach dem Ausgang. Mein Vater versucht mich zurückzuhalten, probiert, die Situation noch einmal zu kitten.

Und was sagt Zuber: „Also…Das ist mir wirklich noch nie passiert, dass mir jemand aus der Sitzung gelaufen ist…“

Tja…Ein Mal ist wohl das erste Mal, Herr Zuber. Aber dass ausgerechnet das es ist, weswegen Sie sich Heute an uns erinnert haben, könnte Ihre Selbstbezogenheit und Selbstgerechtigkeit, ja auch Ihre Verachtung für diese Eltern, die da Ihre sorgfältig aufrecht erhaltene Friedhofsruhe stören wollen, nicht eindrücklicher illustrieren.

Aber Heute bin ich sitzen geblieben, Herr Zuber, und Sie haben das Büro verlassen. Vier Monate arbeiten Sie nun mit R., und Sie kommen nicht auf die Idee, dass in der Therapie mit einem völlig entfremdeten Kind vielleicht auch die Eltern mit einbezogen werden müssten? Sie stellen sich auf den Standpunkt, Ihr Auftrag sei es, „R. durch die schwierige Zeit der Adoleszenz zu begleiten.“?

Ist Ihnen die systemische Familienarbeit zu mühsam, Herr Zuber? Sind Sie es nicht gewohnt, dass nicht Sie, sondern eine dahergelaufene Mutter die Fragen stellt?

Ja, ich weiss. Ich habe Sie oft nicht ausreden lassen. Aber glauben Sie mir, Herr Zuber! Nach zwei Jahren Verleumdung, Einschüchterung und ausgebootet-werden habe ich es satt, zu hören, dass Sie für den entscheidenden Teil, nämlich für die Wiederannäherung R.s an die Familie mütterlicherseits, auch grad wieder partout nicht zuständig sein wollen.

Doch, Herr Zuber. Sie sind als behandelnder Psychologe mitverantwortlich dafür, dass R. nicht die nächsten prägenden Jahre damit zubringen muss, die Hälfte seiner Herkunft abspalten und verleugnen zu müssen! Sie sind verantwortlich dafür, hinter die schöne Fassade zu blicken, die Friedhofsruhe zu stören, auch wenn das zuweilen unangenehm ist.

Wenn Sie nicht mit Eltern umgehen können, die sich auch mit den Bedürfnissen ihrer Kinder beschäftigen, dann sind Sie in der Erziehungsberatung am falschen Platz. Ein Kind lebt nicht im luftleeren Raum. Mit ihm zu arbeiten bedeutet, das gesamte System, in dem es sich bewegt – und bewegt hat! – mit einzubeziehen. Wie sonst könnte sich ein minderjähriges, von den betreuenden Eltern abhängiges Kind auf gesunde Weise emanzipieren?

Ich habe es satt, hier ständig als Störefried abgewimmelt zu werden. Nicht ich habe R. zum Lügen angestiftet, sondern sein Vater. Nicht ich habe R. den Umgang mit dem anderen Elternteil verboten, sondern der Vater. Nicht ich habe R. von klein auf das Gefühl gegeben, dass er für mich verantwortlich ist, sondern sein Vater.

Natürlich sagt dieser Vater zu Ihnen immer brav „ja“ und „sicher schon“ und „selbstverständlich, Herr Zuber.“ Er weiss, was Sie hören möchten, und er gibt Ihnen offenbar das, was Sie brauchen. Er achtet Ihre Autorität nur deshalb, weil Sie von Amtes wegen tätig sind…

Aber glauben Sie wirklich, dass dieser Vater Sie Ernst nimmt? Ich versichere Ihnen: Er wird nur so lange mit Ihnen kooperieren, wie Sie ihn nicht ernsthaft herausfordern.

Geben Sie es zu, Herr Zuber. Sie interessieren sich nicht wirklich für das Kind, welches da alle paar Wochen zu Ihnen kommt. Wie lange arbeiten Sie schon auf der Erziehungsberatung? All die kaputten Familien, die Sie in den letzten Jahrzehnten in Ihrem Büro haben ein- und ausgehen sehen. All die destruktiven Rosenkriege, die sie miterlebt haben. All die hoffnungslosen Versuche, die unschuldigen Kinder vor den Machtkämpfen ihrer Eltern zu schützen. Und immer wieder die Grenzen, die Ihnen das System, in dem Sie arbeiten, auferlegt…

Vielleicht waren Sie einmal idealistisch, Herr Zuber. Sie haben geglaubt, dass Sie mit Ihrer Arbeit, Ihrem Wissen, einen Unterschied machen können im Leben von Kindern, die es nicht leicht haben mit den Eltern, welche das Schicksal ihnen verpasst hat.

Heute glauben Sie nicht mehr daran. Auch 2019 haben Sie nicht mehr geglaubt, etwas bewirken zu können. Sie sitzen in Ihrem Büro mit dem weichen Teppich, verbringen mit den Kids eine gute Zeit und schieben – wo immer Sie können – jegliche Verantwortung und Zuständigkeit von sich weg.

Das ist Ihr gutes Recht, Herr Zuber. Auch ich habe wohl einen Teil meines Elans eingebüsst, weil ich in der Arbeit mit den Verlierer*innen unseres Asylsystems schon zuviel menschengemachtes Elend habe mitansehen müssen. Und weil ich die Gesetzgebung kenne, die immer enger wird, immer weniger Raum lässt für Empathie und den gesunden Menschenverstand.

Aber R. hat das nicht verdient. Er steht noch am Anfang seines Lebens und hat ein Recht darauf, dass wirklich mit ihm gearbeitet wird. Denn er hatte Recht mit dem, was er gesagt hat: „Ich bin nicht krank.“

Nein. Das, was die Erwachsenen da rund um in herum veranstalten – das ist krank. Sehr krank sogar! Wenigstens die Kinder, die Zukunft unserer Gesellschaft, müssen es uns Wert sein, dass die Fachpersonen, die mit ihnen arbeiten, richtig hinschauen. Zuviel Leid und Missbrauch geschieht hinter schön geputzten Fassaden, und das Leiden kann deshalb jahrelang ungestört seinen Lauf nehmen, weil die Erwachsenen rund herum sich nicht in ihrem ruhigen Alltag behelligen lassen wollen. Weil sie es lieber gäbig und gemütlich haben, in einem grossen Büro mit Blick aus dem Fenster und weichem Teppich. Dass sich Ihr Salär aus Steuergeldern speist…? Darüber diskutieren wir vielleicht ein Andermal.

Nein, Herr Zuber. Zu diesen Konditionen möchte ich nicht, dass mein Sohn weiter von Ihnen behandelt wird. Entweder lässt man ihn in Ruhe – oder man geht diesen nun seit zwei Jahren andauernden Zustand der Entfremdung jetzt endlich wirkungsvoll an.

Wie man das machen könnte, illustriert zum Beispiel Heidi Simoni vom Marie Meierhöfer Institut in ihrem Artikel.

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