05.04.2021 (Abend)

Das zweite Mal Ostern ohne dich.

Obschon: Letztes Jahr konnten coronabedingt ja gar keine Osterfeiern innerhalb der erweiterten Familie stattfinden. Deshalb…Tja…Deine Cousins mussten die 25 im ganzen Garten versteckten Eier eben ohne dich suchen. Und verglichen mit den riesigen, ausgesprochen international besetzten Osterfesten der letzten paar Jahre fiel der gestrige Brunch mit nur zehn Personen eigentlich recht bescheiden aus.

Aber schön und gemütlich war es, und trotzdem mir dein Fehlen an Familienfesten immer besonders stark zusetzt, konnte ich den Tag doch richtig geniessen.

Erst am Abend im Bett habe ich dich plötzlich sehr übel vermisst. Ob es mit den Sachen zusammenhängt, die für dein Osternest schon jetzt im Schrank bereitliegen? Was aber, wenn du am Mittwoch schon Frühlingsferien hast und ihr irgendwohin verreist seid? Wie kommt dein Nest dann zu dir? Grosi hat mir sogar ein besonders schönes, im Strumpf gefärbtes Ei für dich mitgegeben. Ob dich das an vergangene Osterfeste erinnern wird?

Ostern ist für mich ein Tag, der mit ganz besonders vielen, sehr positiven Emotionen besetzt ist.

Bei uns wird an Ostern immer ausgiebig gebruncht: ungefähr um elf herum treffen wir uns, jeder und jede bringt etwas mit. Bis der Ostertisch dann bereit ist und alle vom Ostergrossvater versteckten Eier gefunden sind, wirds etwa Mittag. Und dann geht das Essen los. Brot, Käse, Fleisch und die obligaten Eier, und dann natürlich rein ins Süsse. Bei Müllers ist von Letzterem immer reichlich vorhanden. Wenn dann gegen fünf Uhr Abends zum Aufbruch geblasen wird – wobei sich dieser Aufbruch bei uns üblicherweise über mindestens eine halbe Stunde hinzieht – sind die Bäuche randvoll, sodass die Brunchteilnehmer beinahe zum Mitnehmen der Reste des Frühstücks genötigt werden müssen. Aber ein letztes farbiges Zuckerei zum Abschied lässt man dann doch gerne noch mitgehen…

Ich habe Ostern immer viel lieber gemocht als Weihnachten. Als ich das erste Osterfest fernab von zu Hause mit der Familie meines ersten Freundes im Schwarzwald verbrachte, weinte ich den ganzen Tag über bitterlich. „Welch ein undankbares Mädchen!“, werden sich seine Eltern gedacht haben.

Ostern markiert nicht nur den Frühlingsbeginn, sondern er war für mich als Kind untrennbar mit dieser gleich nach dem Aufstehen beginnenden, kribbeligen Vorfreude auf den Inhalt des Osternests verbunden. Und diese Vorfreude wurde durch das Suchen vor dem Frühstück ja noch gesteigert!

Am glücklichsten war ich, wenn mitten im Nest ein Tobleronehase sass, der mit den grossen Ohren und den riesigen Marzipanaugen. Ich weiss nicht, obs den heute überhaupt noch gibt. Wenn der dann auch noch aus weisser Schokolade war, dann war mein Osterglück komplett, und erfreulicherweise hielt es die folgenden Tage über beim Naschen ja noch an!

Es gibt so viele Erinnerungen, die ich mit Ostern verbinde. Natürlich waren da immer Grosi und – als er noch lebte – unser Grossvater mütterlicherseits eingeladen. Während Grosi viel Sitzleder hatte und in der grossen Runde in ihrer Matronenrolle richtiggehend aufging, drängte der Grossvater meiner Ansicht nach immer viel zu früh schon wieder zum Aufbruch. Der sagte nie etwas; man wusste nicht recht, was er noch hörte, und ganz definitiv mochte er solcherlei Familienereignisse nicht.

Traditionellerweise brachten Grosi und der Grossvater auch immer ihre Freunde, die Niklaus‘ aus Basel, mit. Grosis diverse Liselis, Käthelis und Trudelis wurden in den Erzählungen am Ostertisch lebendig, doch am süssesten sind natürlich meine Erinnerungen an den ehemaligen Bäcker Tschanne Paul, der uns auch über seinen Tod hinaus noch mit seinem Geheimrezept für selbstgemachte Florentiner beglückt.

Das Marteli Niklaus war ob seiner Osteoporose derart in sich zusammengefallen, dass ich es schon bald überragte. Immer hatte ich ein bisschen Angst, dieses zarte Persönchen im Eifer des Gefechts plötzlich zu überrennen. Als mir jedoch während einem der letzten Osterbrunches, denen die Niklaus‘ gesundheitsbedingt noch beiwohnen konnten, zu Ohren kam, dass das Marteli vor siebzig Jahren auch die Sek Fraubrunnen besucht hatte, wurde es von mir gleich für ein Interview für die Schülerzeitung gebucht.

Egal, ob wir Ostern nun bei Grosi im Garten oder bei uns zu Hause in S. feierten: Wenn das Wetter schlecht war, dann war Ostern trotz Nester und Brunch irgendwie nur halb so schön. Wenn wir die Nester und die gefärbten Eier aber in der ersten Frühlingssonne und unter dem Gezwitscher der Vögel suchen konnten, dann ist das in meiner Erinnerung der Inbegriff von Christi Auferstehung.

Seien wir aber ehrlich. Neben dem Osterhasen hatte Jesus mit seiner wundersamen Auferstehung von den Toten bei mir als Kind definitiv die Zwei am Rücken. Vor Toten und dem Tod im Allgemeinen gruselte ich mich ganz gewaltig, und in meiner Familie spielte das Christentum eine sehr marginale Rolle.

Das erste, mit Religion in Verbindung stehende Ostererlebnis bescherte mir als Teenager Papst Johannes Paul der II mit seinem „Urbi et Orbi“. Ich weiss Heute gar nicht mehr, auf wessen Fernseher ich dieses Spektakel zum ersten Mal verfolgt habe, denn zu Hause hatten wir keinen Eigenen. Den Umstand aber, dass dieser alte Mann, über den sich Grosi als Erzprotestantin immer etwas abfällig äusserte, fünfzig Sprachen beherrschte, faszinierte mich ganz ausserordentlich. Der Papst dockte mit seinem vermeintlichen Sprachtalent doch direkt an meiner grenzenlosen, durch einen riesigen taktilen Atlas, gedruckt 1980 in der Deutschen Demokratischen Republik und bestückt mit vier! Karten allein zum Gebiet der ehemaligen Sowjetunion – womit die sozialistische Weltordnung meiner Ansicht nach eindrucksvoll widergespiegelt wurde – geweckte Neugier für fremde Länder und Menschen an! Am Ende meiner Teenagerzeit war ich mit einer Freundin sogar einmal selbst an Ostern auf dem Petersplatz, um als Touristin gemeinsam mit zehntausenden von Gläubigen dem Segen beizuwohnen.

Natürlich gibt es auch bei uns ein paar histoires Familles. Die vom halb geschmolzenen Osterhasen, zum Beispiel. Beim Verstecken im frühen Morgentau hatte der Osterhase da definitiv die Kraft der Mittagssonne aufs Garagendach unterschätzt.

Oder das Osterei, das einfach niemand finden konnte. Das tauchte dann ein halbes Jahr später – ziemlich angerottet – beim Gärtnern in einem Hohlraum in der giftigen Eisenbahnschwelle auf, welche unser Grundstück über Jahre gegen die Quartierstrasse hin abgrenzte.

Unvergessen sind auch die Ostereier, welche die Familie väterlicherseits mitbrachte. Ab und zu brunchte die nämlich auch noch mit. Dort muss der Osterhase allerdings ein gröberes Problem mit dem Koch-Timing gehabt haben: Entweder waren die Eigelbe vor lauter Kochen schon grünlich, oder das Eiinnere flutschte einem nach dem Tütschen halb entgegen. Was die missglückten Eier – zumindest für meinen Paps – jedoch alleweil wettmachte, war der mitgebrachte Osterfladen, gebacken nach dem Rezept seines Grossvaters, auch er – wie der Tschanne Paul selig – Bäcker.

Weil der Osterbrunch am Morgen stattfindet, hatte der an solchen Familienfesttagen oft präsente und daher berüchtigte Grund-Stresspegel viel weniger Zeit zum Ansteigen. Während den Heilig Abenden unweigerlich ein Familienstreit mit dem Grundtenor: „Könntet ihr nicht endlich…?“ und „Wieso muss ich eigentlich immer alles alleine…?“ voranging, kann ich mich im Zusammenhang mit Osterfesten an keinen Familienkrach erinnern. Die Anlaufzeit zwischen dem ersten Aufstehen zwecks Zopfteigkneten und der Ankunft der Gäste war ganz offensichtlich zu kurz, um richtig in Rage geraten zu können.

Ach doch! Manchmal gabs zwischen uns Kindern kleine Eifersüchteleien um den Inhalt der Osternester. War der Hase im Nest des Bruders nicht doch ein bisschen grösser als meiner? Oder hatte meine Schwester, die sowieso immer Glück hat, vielleicht ein Zuckerei mehr bekommen? Eigentlich kaum möglich, denn der für unseren Haushalt zuständige Osterhase – eigentlich eine Osterhäsin! – achtete peinlich genau darauf, dass immer alles brüderlich und schwesterlich geteilt wurde.

Hinterlasse einen Kommentar