30.03.2021 (Abend)

Ihr Lieben!

Für mein vergleichsweise langes Schweigen muss ich mich bei euch fast ein bisschen entschuldigen. Aber in den vergangenen zwei Tagen musste ich mich von den Turbulenzen der letzten beiden Wochen erholen. Da ist in mir so viel passiert, dass ich davon einfach richtig erschöpft war!

Den gesamten Sonntag über war ich voll inerer Unruhe und deshalb ständig in Bewegung. Ob meine Hoffnung, R. mit einem selbstgemachten Osternest und einem kurzen Brief überraschen zu können, wohl funktionieren würde? Aber wer sollte das Geschenk überbringen?

Ich selbst traue mir das nicht zu, denn für eine Konfrontation mit seinem Vater oder dessen Frau bin ich definitiv noch nicht stabil genug. Da würde ein falsches Wort ausreichen, und ich würde durch die Decke gehen! Kein guter Plan, wenn ich R.s Vertrauen zurückgewinnen möchte!

Den Grossvater würden die Beiden wohl nicht reinlassen. Zu stark ist wahrscheinlich das schlechte Gewissen von R.s Vater. Wie oft hat mein Paps ihn auf dem Weg zu Fussballturnieren zu Hause aufgepickt? und dann müsste sich R. natürlich wieder mit seinem Vater solidarisieren…Geht also auch nicht.

Meine Schwester? Never! Sie war zwar die Letzte, die R. sogar in der Wohnung seines Vaters besucht hat, aber bis Heute hat es keine Aussprache zwischen uns gegeben. Ihre Worte, wonach es „mir ja gar nicht um R. sondern eigentlich ja nur um mich selbst gehe“ habe ich ihr bis Heute nicht vergessen. Sie hatte wahrlich genug Zeit, auf mich zuzukommen, aber offenbar war ich es ihr bislang nicht wert. Deshalb habe auch ich nichts von mir hören lassen, obschon sie kurz vor ihrem 40. Geburtstag nach einer Wirbelsäulenhernie im Nacken nur mit Hilfe einer langen Operation dem Rollstuhl entgangen ist. Traurig eigentlich, aber unser Verhältnis war ja noch nie besonders innig. Zuviel Konkurrenz, zuviel…Whatsoever…Momentan habe ich aber echt nicht die Kraft, mich auch noch darum zu kümmern.

Am Ende, wohl wieder einmal beim Spazieren, fiel mir H. ein. Sie kennt R., und R. kennt sie. Auch sein Vater kennt die Familie, weil R. ja einmal für zwei Wochen dort untergekommen ist. Ihr können sie nicht einfach die Tür weisen, denke ich.

Am Abend erläutere ich H. meine Überlegungen und frage, ob sie das für mich tun könnte. Es fällt mir unglaublich schwer, Aussenstehende in diese Geschichte hineinzuziehen, habe ich doch erlebt, wie heikel solch innerfamiliäre Konflikte sind. Zudem hasse ich es, andere Menschen um einen Gefallen bitten zu müssen mit dem Risiko, dass sie mich abweisen könnten.

Doch dieser kleine Funke Hoffnung, der in den letzten paar Tagen in mir aufgeflammt war, und natürlich meine Sorge darüber, dass sich R. die nächsten paar Jahre mit unbegründeten Schuldgefühlen herumquälen könnte, waren stärker als meine Vorbehalte.

Und H. wird es tun. Voraussichtlich am Mittwoch nach Ostern, doch das spielt eigentlich keine Rolle, weil R. ja ohnehin nicht mit einem Ostergeschenk von mir rechnet.

Wir haben darüber beraten, wo sie es am besten hinbringt. Zum Fussballtraining? In die Schule? Nein. Ich will R. diese Art von kleinen Geheimnissen ersparen. Wenn, dann soll alles transparent ablaufen. Ob der Vater und die Stiefmutter R. das Geschenk und meinen kurzen Brief danach überlassen, liegt nicht in unserer Verantwortung.

Ich bin H. unglaublich dankbar, dass sie diesen Botengang für uns tun wird. Das ist keine Selbstverständlichkeit, und selbst wenn uns mittlerweile eine Freundschaft verbindet, dürfte ich es nicht von ihr erwarten. Ich dürfte es erhoffen, ja, aber nicht erwarten.

Seit das feststeht, fühle ich mich leichter. Für den Moment habe ich wieder einen Strohhalm, an dem ich mich festhalten kann, und ich habe einen Weg gefunden, aus meiner ohnmächtigen Passivität heraus wieder in ein aktives Handeln überzuwechseln. Seit einer gefühlten Ewigkeit werde ich wieder einen Schritt auf R. zumachen können, ohne dass sich gleich eine Gegenanwältin, mein eigener Anwalt oder sonst eine wohlmeinende Fachperson auf mich stürzen wird. Welch eine Befreiung!

Vielleicht wird dieser erste Schritt nicht unmittelbar zum Erfolg führen. Ich kann mir gut vorstellen, dass entweder ein neuer Beistand oder ein Psychologe R. erst aus seiner Kriegerhaltung befreien helfen muss. Er braucht jetzt den Papa nicht mehr zu schützen, und auch die Stiefmutter und die kleine Halbschwester können nicht mehr abgeschoben werden. Er darf beim Papa wohnen, uns kann er dann besuchen, wenn er Lust und Zeit dazu hat. Nichts, was er sagt oder tut, kann jetzt noch gegen die Familie seines Vaters verwendet werden. Die Gerichtsverhandlung ist Gott sei Dank vorüber!

Aber das Wichtigste, was ich R. sagen möchte ist: „Du hast nichts falsch gemacht. Ich als deine Mutter habe dich immer noch sehr sehr gern, und ich würde mich einfach freuen, mit dir wieder einmal…Na was denn? Egal. Etwas, was du gern machst, eben…unternehmen.“

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