22.03.2021 (Abend)

Soeben von meinem Termin mit der Superpsy zurückgekommen. Die hat mich kaum wieder erkannt, so völlig am Ende und in Tränen aufgelöst, wie ich da vor ihr sass. Sie kennt mich sonst als die Starke, die Analytische, die Kämpferin eben, die sich nicht unterkriegen lässt.

Heute war davon nichts mehr übrig. Mag sein, dass ich mich mit der Zusammenfassung von gleich vier Artikeln etwas überfordert habe; insbesondere die letzte Abhandlung ging ungeheur an die Substanz. Das Merkte ich bereits am Samstag.

Wut, Trauer und Erkenntnis wechselten sich in mir ab, die reinste Achterbahn der Gefühle habe ich durchlaufen. Zwischendurch bin ich viel spazieren gegangen; zu Hause war ich wortkarg und verbarrikadierte mich hinter Youtube-Videos und Podcasts. Bloss nicht reden, denn die Sprache für all das, was da in meinem Kopf und in meinem Herzen abging, fehlte noch.

Am Samstag Nachmittag dann noch ein Besuch bei H. und ihrem Mann; auch da war R. natürlich Thema. Beruhigend fand ich, dass auch H.s Mann, der als Sozialpädagoge in der Arbeit mit schwierigen Familien doch des Öfteren Gutachten zu Gesicht bekommt, sich doch auch sehr ernüchtert zeigte über Hugglers Machwerk: „Sehr einseitig.“ und „das hätte wirklich auf zwanzig Seiten Platz gehabt; dieses ganze Copy-paste-Ding war doch völlig überflüssig.“

Am Sonntag dann ein Besuch bei meinem Bruder und den Jungs. Diesmal war die gefühlslage widersprüchlich: Zwar freute ich mich, sie zu sehen, aber es kamen dann doch viele Erinnerungen an R. hoch. Insbesondere L., der kleinere von Beiden, erinnert mich so fest an R. Genauso selbständig, genauso ein Draufgänger.

Als ich nach Hause kam, verkroch ich mich sofort ins Bett. Ich fühlte mich körperlich richtig schlecht, wusste jedoch, dass die Ursachedafür meine wachsende innere Unruhe war. Dementsprechend schlecht habe ich auch geschlafen, und nachdem ich am Morgen den Artikel zu Beziehung und Entfremdung fertig zusammengefasst hatte, war es endgültig vorbei. Wut, Trauer und ein überwältigendes Gefühl der Sinnlosigkeitergriffen von mir Besitz; der Kloss in meinem Innern schmerzte, und die Gedanken befanden sich ganz klar in der Abwärts-Spirale. Bringt nichts, kann nichts, ist für nichts, wäre am Besten gar nicht mehr…Und so weiter.

Nach Anderthalb Stunden Herumliegen schnappe ich mir Oak und gehe spazieren. Die frische kalte Luft beruhigt mich etwas, und die Sonne sorgt dafür, dass ich emotional nicht völlig im Grau abtauche. Das Telefon klingelt – ich ignoriere es. Ich mag mit niemandem reden, will auch überhaupt nichts hören.

Trotzdem füttere ich nach dem Spaziergang Oak und mache mich danach auf den Weg zur Superpsy. Anscheinend bin ich mir das dann doch noch wert. Als sie mich fragt, wie es gehe, fangen die Tränen hinter der Maske an zu fliessen. Sie hören erst auf, als unsere Sitzung eine Stunde später beendet ist. Ich erzähle, dass ich keine Lust mehr hätte, zu kämpfen. Dass nichts mehr einen Sinn ergäbe, mir nichts mehr Freude mache. Dass dieses immer-wieder-Aufstehen ja doch nichts brächte. Dass ich es ja offenbar verdient hätte, so behandelt zu werden. Für R. stark bleiben? Ach was…Es weiss doch eh niemand, ob und wann der zurückkommt. Und überhaupt: Das Leben ist eine alte Bitch! – und was für Eine!

Ich versuche zu erklären, wie schlimm es ist, dass die Gedanken an dich, R., einfach nicht aufhören. Dass ein Abschied fehlt, und dass ich das Kind, das ich verloren habe, nie mehr wiedersehen werde. Dass dieser Schmerz und diese Ungerechtigkeit immer wieder hochkommen, dass man mit so einer Geschichte ja auch nicht abschliessen kann. Dass ich es leid sei, nach aussen weiterhin zu funktionieren, wenn die Anderen mich ja nur so ertrügen.

Als ich nach einer Stunde mit dem nächsten Termin in der Tasche die Praxis verlasse, fühle ich mich leichter. Der Kloss in meinem Innern scheint sich aufgelöst zu haben. Im Bahnhof gönne ich mir einen neuen Duft für den Frühling und die geniale Mandelhandcreme, mit der die Hände so unglaublich zart werden.

Nein. Anscheinend will ich doch noch nicht wirklich sterben. Die Superpsy hat – wieder einmal – Recht behalten. Die Kämpferin in mir, auch sie übrigens eine alte Bitch, wird euch noch eine weitere Runde lang erhalten bleiben!

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