Ich könnte schreien! Schreien und toben und wüten und um mich schlagen! Und vor allen Dingen könnte ich weinen, bis mir die Tränen ausgehen.
Nicht wegen Marie Meierhöfer. Nein!Die Ausführungen von Heidi Simoni, die ich euch, ihr Lieben, in den vergangenen Tagen vorgestellt habe, erscheinen mir plausibel. Aber ich könnte schreien darüber, wie allein R. und ich gelassen worden sind! Obschon ich überall um Hilfe suchte. Obgleich R. durch sein Verhalten in der Schule nach Hilfe schrie. Obgleich zig sog. „Fachleute“ Bescheid wussten – und trotzdem nichts getan haben, um die Situation zu entschärfen.
Und danach, als du, R., selbst eine Entscheidung getroffen und zum Papa gegangen bist. Niemand hatte Zeit für dich. Nicht die KJP, nicht die Erziehungsberatung, nicht einer aus der Liste der über zwanzig Kinderpsychologen, die ich im September 2019 durchtelefoniert habe.
Und niemand war da, der mir – uns – erklären konnte, was gerade ablief. Niemand wollte zuständig sein, nicht das Gericht, nicht die KESB. Monate gingen so ins Land, ohne dass überhaupt etwas passiert ist.
Ob du jetzt endlich einen neuen Beistand hast? Wie hätte ich mit diesem Sozialdienst, der mich monatelang aushungern liess und mir daraufhin den Zutritt mit meinem Blindenführhund verboten hat, noch zusammenarbeiten können? Wie hätte ich mich mit Frau Chaudhary nach ihrem im Juli 2019 hinterrücks verfassten, für mich vernichtenden Bericht noch an einen Tisch setzen können?
So einfach haben es sich Alle gemacht. Tja…Genau wie es Simoni sagt: Keiner von diesen sog. Fachleuten will sich wirklich mit streitenden Eltern beschäftigen. Da ist es doch so einfach, wenn man die böse Mutter entsorgt und den Vater, der zwar gelogen und dich als Geheimnisträger missbraucht hat, überall durchschlüpfen lässt.
Ob du jetzt, lieber R., endlich die kinderpsychologische Unterstützung erhältst, die dir eigentlich zustünde? Ich glaube nicht daran, hat uns doch deine Lehrerin, Petra Mordasini, versichert, man hätte dir „überhaupt nichts angemerkt“.
So wird dein Vater auch diesmal durchkommen. „Weshalb brauchst du denn einen Psychologen, R.? Nicht du bist krank, sondern deine Mutter.“ Nein, R. Du bist nicht krank, aber die Situation, in die wir Erwachsenen dich gebracht haben, ist verdammt krank!
Doch solange du dich anpasst, nicht auffällig wirst, wird dein Vater damit durchkommen. Ihm und deiner Stiefmutter ist ja noch nicht einmal bewusst, dass da etwas ganz ungeheur schief läuft.
Und auch sonst. Niemand von diesen Leuten um dich herum wird sich Gedanken darüber machen, was sie dir hier für schicksalhafte Entscheidungen aufgebürdet haben. Nicht die Chaudhary, nicht unser Experte Huggler, nicht die Gerichtspräsidentin Rickli – und anscheinend auch nicht der jetzt ja nicht länger zuständige Kinderanwalt Herzig. Wer von denen macht sich denn die Mühe, zu überprüfen, ob die angeordneten Massnahmen auch tatsächlich eingehalten werden?
Sicher nicht dein Vater, für den du ja ohnehin schon immer Verantwortung übernommen hast, nicht deine Stiefmutter, die wohl genug mit sich selbst und deiner Halbschwester beschäftigt ist, nicht deine Lehrer, die einfach ihre Ruhe wollen.
Und der Psychologe von der Erziehungsberatung bern, der dich Laut Gerichtsbeschluss behandeln soll.
Weisst du, dass ich diesen Herrn Zuber kenne? Ich war bei ihm, zusammen mit deinem Grossvater, R. Das war gleich nach Salzburg, im Juni 2019. Da warst du probehalber für zwei Wochen beim Vater, denn zu der Zeit war ich ausser mir vor Angst und Sorge.
Wir kamen kurz nach halb zwei Uhr im dritten Stock, wo sich Herr Zubers Büro befand, an. Als wir eintraten, kam jemand gähnend aus der Kaffeküche geschlurft und stellte sich als der zuständige Psychologe vor. In der folgenden Dreiviertelstunde versuchte ich, das vergangene Jahr irgendwie zusammenzufassen. Die Lügen deines Vaters, das sich-nicht-Kümmern deiner Beiständin, die zahllosen vergeblichen Versuche, mit deinem Vater und seiner Frau an einem Tisch die neue Situation zu besprechen. Auch die Besuche bei Dr. Schönfeld erwähnte ich, und die Weigerung deinerseits, die Termine bei ihm wahrzunehmen. Das sich-völlig-Herausziehen deines Vaters, die Weigerung des Psychologen, dies auch nur kurz in einem Bericht festzuhalten. Die Probleme mit dem Sozialdienst, meine finanzielle Situation. Meine Angst, weil du immer aufsässiger, ja aggressiver mir gegenüber wurdest. Das, was ich über Y.s Vater wusste und der schreckliche Verdacht, dass er als Spiritus Rector euer beider Entfremden vorantrieb…Die unsägliche Angst darüber, wie ich dich mir entgleiten fühlte…
All das sprudelte an diesem Junimittwoch 2019 aus mir heraus. Und was antwortete Herr Zuber darauf? „Also…So etwas habe ich noch nie gehört…“
Meine erste Reaktion war: Bloss weg hier! Ich stand auf, tastete mich an der Wand entlang zur Tür, Tränen liefen mir bereits übers Gesicht, bevor mein Vater verstand und mir aus diesem schrecklichen Büro hinaus und weg von diesem schrecklich desinteressierten Herrn Zuber half.
Noch jetzt, da ich dies aufschreibe, kommen mir bei der Erinnerung daran wieder die Tränen. Wie furchtbar alleingelassen ich mir in diesem Augenblick vorkam!
Aber wie allein und verängstigt musst du dich die vergangenen Monate über erst gefühlt haben! Sicherlich spürtest du, dass deine Mutter nur noch ein Nervenbündel war, völlig verunsichert und voll hilfloser Wut.
Welchem Kind hätte das nicht Angst gemacht? Kein Wunder, dass du dich ob dem Allem nur noch nach Ruhe und Frieden sehntest!