Was geschieht, wenn Eltern von Kindern über eine Trennung nachdenken oder sich bereits getrennt haben?
Den dabei oft entstehenden Konflikten will das Marie Meierhofer Institut für das Kind mit seinem 2011 initiierten KET-Programm (Konfliktberatung für Eltern in trennung) begegnen. In diesen Beratungsprozessen sollen nicht nur die Konflikte der Eltern analysiert werden; deren Auswirkungen auf die betroffenen Kinder und deren Partizipation bei der Lösungssuche bilden bei den KET-Beratungen vielmehr einen festen Bestandteil. In ihrem Artikel „Konflikte in getrennten Familien – Erfahrungenaus der KET-Beratung“ stellen die Autor*innen S. Brunner, K. Hardegger und G. von Salis das Programm anhand dreier Fallbeispiele vor. Der Artikel stammt aus der Ausgabe 105 der Fachpublikation „undKinder“ vom Sommer 2020, erschienen unter dem Schwerpunkttitel „Konflikte“.
Fall 1
Die Eltern des 2jährigen Tims haben sich getrennt, als dieser nur drei Monate alt war. Grund für die Trennung war der Drogenkonsum des Vaters. Als der Vater nun darauf drängt, seinen Sohn regelmässig selbst betreuen zu können, führt dies bei der Mutter zu Wut und Misstrauen. Der Vater hingegen droht, die KESB einzuschalten.
Im KET-Programm setzen sich die Eltern im folgenden Jahr nicht nur mit ihren eigenen Emotionen auseinander, die die gescheiterte Beziehung hinterlassen hat, sondern Tim wird mittels regelmässiger Spiel-Interaktionen aktiv in das Geschehen mit einbezogen. So können die Interaktionen der Eltern mit dem Kind nicht nur in separaten Sitzungen mit der Beraterin reflektiert und den Bedürfnissen des Kindes angepasst werden, sondern die Eltern können sich auch gegenseitig in der Interaktion mit dem gemeinsamen Kind erleben. So ist das gegenseitige Misstrauen und damit das Konfliktpotential nach einem Jahr zwar nicht vollkommen überwunden, es konnte jedoch erheblich abgebaut werden.
Fall 2
Als die Eltern der damals knapp 6jährigen Karolina von der KESB erstmals in die KET-Beratung geschickt werden, hat das Mädchen den Vater seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Nach einer physischen Auseinandersetzung zwischen den Eltern während einer Übergabe mit daraufhin erfolgter Gefährdungsmeldung durch die Mutter hatte sich Karolina geweigert, den Vater weiterhin zu sehen.
Sowohl der Erstkontakt zwischen den Eltern als auch derjenige zwischen dem Vater und seiner Tochter im Beisein der Mutter verläuft alles Andere als vielversprechend. Der Vater droht, sein Besuchsrecht notfalls juristisch einzufordern.
In mehreren Beratungen ohne Beisein von Karolina werden die verhärteten Fronten analysiert. Als der Vater von seinem Vorhaben, die Besuche seiner Tochter juristisch einzufordern, Abstand nimmt, reagiert auch die Mutter mit mehr Offenheit. Ganz langsam lernt der Vater, sich in einer wertschätzenden Weise bei der Mutter über die Entwicklung seiner Tochter zu informieren. Die Mutter kann sich in der Folge mit dem Gedanken anfreunden, dass der Vater im Leben ihrer Tochter seinen Platz finden soll. Während erste Geschenke des Vaters von Karolina noch zurückgewiesen werden, erregen Babyfotos, über die sich auch die Mutter freut, beim Kind ein erstes zartes Interesse.
Nach längerer Pause wird ein neuerliches Treffen zwischen den Eltern und der Sechsjährigen arrangiert. Dabei verweigert Karolina abermals den Kontakt zum Vater, doch als die Mutter sie bei Folgetreffen ermutigt, allein auf einem Stuhl zu sitzen und den Vater zu begrüssen, kann sich auch das Mädchen langsam öffnen.
Sowohl der Vater wie auch die Tochter sind ehrgeizige Spieler. Das Eis bricht deshalb erstmals, als sich die Beiden in einem von der Beraterin vorbereiteten Spiel messen können.
Fall 3
Die Eltern der Geschwister Theo (12) und Iris (8) wurden vom zuständigen Regionalgericht im Zuge ihres Trennungsverfahrens dazu angehalten, zehn KET-Sitzungen zwecks Regelung der Kinderbelange zzu absolvieren. Während der Vater die alternierende Obhut bevorzugt, möchte die Mutter am bisher gelebten traditionellen Betreuungsmodell festhalten.
Beim ersten Treffen verfallen die Eltern rasch in bekannte Konfliktmuster und beginnen, sich gegenseitig mit Vorwürfen einzudecken. Daraufhin werden die Kinder allein in die Beratung eingeladen; der ältere Bruder nimmt dabei eine beschützende Funktion ein und sagt, dass er auch schon ein Familienmodell mit alternierender Obhut kenne. Beide Kinder wünschen sich Kontakt zum Vater, die 8jährige Iris bringt überdies zum Ausdruck, dass sie den neuen Partner ihrer Mutter nicht möge.
In den folgenden beiden Dreiersitzungen haben die Kinder die Möglichkeit, mit ihren Eltern einzeln über ihre Wünsche für eine zukünftige Betreuung zu sprechen. Daraufhin werden die Eltern wieder miteinander konfrontiert, einigen sich jedoch schnell darauf, sich in den Folgesitzungen allein auf die Regelung der Kinderbelange zu konzentrieren. In der Beratung werden die bestehenden Rollenmuster hinterfragt, und plötzlich gelingt es den Eltern, einander wieder zuzuhören und auch wertschätzend miteinander umzugehen. Zwar wird keine Regelung erzielt, aber erlebt zu haben, zum Wohle der gemeinsamen Kinder doch in der Lage zu sein, auch künftig miteinander kommunizieren zu können, empfanden beide Eltern als wertvolle Erfahrung.
Für die Beratungen im Rahmen des KET-Programms ist es Laut den Autor*innen charakteristisch, dass diese mitten in einer bereits bestehenden Konfliktsituation in Angriff genommen werden. Die Berater*innen müssen daher nicht nur den Umgang mit schwierigen Emotionen wie Verletztheit, Trauer und Wut aushalten können, sondern diese Emotionen in einem Prozess der Entflechtung gemeinsam mit den Betroffenen auch sorgfältig analysieren. Das erfordere viel Kreativität, aber auch die Fähigkeit, bei Eskalationen einschreiten zu können.
Nur so könne es gelingen, dass die Eltern während des Beratungsprozess‘ ihren Fokus wieder auf die betroffenen Kinder legen könnten, denn diese stünden, so die Autor*innen, im Mittelpunkt ihrer Beratungsinterventionen.
Damit die Berater*innen in der Lage sind, die Bedürfnisse und Wünsche der Kinder optimal wahrzunehmen, werden sie – je nach Wunsch des jeweiligen Kindes – auf unterschiedliche Weise in den Beratungsprozess einbezogen. So können sie aktiv an Sitzungen teilnehmen, oder sie können ihre Anliegen schriftlich einbringen. Um Beziehungen zwischen Eltern und Kindern besser einschätzen zu können, kann die Beraterin vor allem bei kleinen Kindern auf interaktive Spielsequenzen zurückgreifen. Wie stark sich ein Kind aber einbringen möchte, soll jedem einzelnen selbst überlassen bleiben.
Die Autor*innen kommen zum Schluss, dass die Arbeit im KET-Programm von den Berater*innen viel Einfühlungsvermögen, aber auch Stressresistenz erfordere. Daneben müssten sie es schaffen, in hochkonflikthaften Situationen den Überblick zu behalten und dabei vor allem die
Belange der Kinder im Blick zu behalten. Trennungen stellten zwar Krisen dar, die von den betroffenen Familien bewältigt werden müssten, doch böten sich dadurch auch immer wieder neue Möglichkeiten, welche in den Beratungen unbedingt als Chancen wahrgenommen werden sollten.