17.03.2021 (Mittag)

Im heutigen Blog-Beitrag beschäftigen wir uns wiederum mit einem Artikel aus der Fachzeitschrift „undKinder“, die zwei Mal jährlich vom Marie Meierhofer Institut herausgegeben wird.

In der Ausgabe 104 vom Dezember 2019 setzt sich die Autorin Maria Mögel in ihrem Artikel „“Einmal hier, einmal da – Erwägungen zur alternierenden Obhut in der frühen Kindheit“ mit den Pros und Cons betreffend der alternierenden Obhut – in Deutschland auch als „Wechselmodell“ bekannt -, bei jungen Kindern mit getrennt lebenden Eltern auseinander. Mehr Informationen dazu unter:

https://www.wechselmodell.ch/

Sowohl die Ratifizierung des UNO-Kinderrechtsabkommens vor dreissig Jahren wie auch die 2014 und 2017 erfolgten Reformen des Scheidungs- und Unterhaltsrechts haben die Rolle beider Elternteile nach einer Trennung in den Blickpunkt der Fachleute rücken lassen. Während die gemeinsame elterliche Sorge seit 2014 nach einer Trennung der Regelfall ist, hat sich der Gesetzgeber dagegen entschieden, die alternierende Obhut als Regelmodell gesetzlich festzuschreiben. Bei seinen Erwägungen stützte sich das zuständige Justizdepartement auf eine Genfer studie, welche die Kriterien für eine gelingende alternierende Obhut untersucht hat; Das Fazit dieser Studie: Je besser die gemeinsame Elternschaft auch vor der Trennung gelungen ist, umso besser stehen die Chancen für das Gelingen der alternierenden Obhut. Liegen jedoch unterschiedliche Vorstellungen darüber vor, wie ein Kind erzogen werden soll, unso wahrscheinlicher sind Spannungen bei der alternierenden Obhut mit negativen Auswirkungen auf die betroffenen Kinder vorprogrammiert.

Zur alternierenden Obhut bei sehr jungen Kindern gibt es kaum empirische Erhebungen; eine schwedische Studie bei 3 bis 5jährigen zum Thema konnte keine negativen Auswirkungen auf Kinder unter alternierender Obhut bei getrrennt lebenden Eltern feststellen. Allerdings sind die Analysekriterien unscharf definiert, was direkte Vergleiche problematisch macht. Bei älteren Kindern weisen Untersuchungen darauf hin, dass – liegen weder häusliche Gewalt noch Kindsmisshandlungen vor – die alternierende Obhut den betroffenen Kindern dabei hilft, ihre Beziehungen zu beiden Elternteilen zu leben.

Generell ist es problematisch, Studienergebnisse rezeptartig auf Einzelfälle anzuwenden. Ob die alternierende Obhut gelingt oder nicht, hängt von zahlreichen inner- und ausserfamiliären Faktoren ab, wie an zwei Fallbeispielen exemplarisch aufgezeigt wird. So kann die angespannte Beziehung zwischen den Eltern die Übergaben erschweren, oder ein erhöhter Stress, z. B. ausgelöst durch den unlängst erfolgten Kindergarteneintritt, kann beim Kind zu Verunsicherung führen und bewirken, dass es sich plötzlich stärker an einen Elternteil bindet. Zur Lösung solcher Problemsituationen ist die elterliche Kooperation entscheidend.

Aus entwicklungspsychologischer Sicht können auch kleine Kinder mehrere enge Bezugspersonen haben, die in gegenseitiger Kooperation die verschiedenen kindlichen Bedürfnisse erfüllen. Wohl nicht umsonst besagt ein afrikanisches Sprichwort, dass es zur Erziehung eines Kindes eines ganzen Dorfes bedürfe. Diese Bezugspersonen können nebst den Eltern Verwandte, aber auch familienexterne Betreuungspersonen sein.

Innerhalb dieser Bezugspersonennetze ist es gemäss der Autorin wichtig, dass alle Beteiligten verlässlich feste Rollen übernehmen, sich aufeinander verlassen können und von den übrigen Parteien in ihrer Rolle wertgeschätzt werden. Bei Überlastung sollte das Beziehungsnetz so geknüpft sein, dass bei Bedarf Erholung und Selbstreflexion möglich ist. Alle Involvierten sollten sich mit der von ihnen übernommenen Rolle identifizieren können.

In Situationen von Trennung und Scheidung kommt es zwischen den Eltern nicht selten zu Konflikten, welche eine gegenseitige Wertschätzung schwierig werden lassen. Diese Missstimmungen werden von den betroffenen Kindern auf- und wahrgenommen, und sie werden als belastend empfunden. Nicht selten gibt sich das Kind dann beispielsweise die Schuld dafür, wenn es bei den Übergaben zwischen den Eltern zum Streit kommt.

Nicht nur Trennungen, sondern auch andere Veränderungen in der Lebenswelt von Kindern stellen das Bezugspersonensystem sowie die betroffenen Kinder vor Herausforderungen. Im besten Fall gelingt es, diese Übergänge zu meistern und das Beziehungsnetz wieder derart zu justieren, dass das Kind den Umgang unter den Bezugspersonen erneut als wertschätzend, also sicher, erleben kann. Gelingt dies nicht, dann wird externe Beratung wichtig. Hilfreich in solchen Situationen können für kleine Kinder ältere Geschwister oder einfühlsame Grosseltern sein, die allenfalls deeskalierend zwischen den Eltern vermitteln helfen.

Die Frage, ob bei jungen Kindern mit getrennt lebenden Eltern eine alternierende Obhut zu empfehlen sei, hängt Laut der Autorin also von ganz vielen einzelnen Kriterien ab; sie hat dafür eine Checkliste erarbeitet, mit deren Hilfe nicht nur die Bedürfnisse und das Temperament des betroffenen Kindes, sondern auch dessen Beziehungsnetz genauer unter die Lupe genommen werden kann. Damit wird es den betroffenen Familien einfacher gemacht, sich für oder gegen ein bestimmtes Familienmodell nach einer Trennung zu entscheiden.

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