16.03.2021 (Abend)

Eine renommierte Adresse zur Erforschung der Bedürfnisse von jungen Kindern ist das Marie Meierhofer Institut für das Kind

www.mmi.ch

An den Forschungsergebnissen seiner Mitarbeiter*innen orientieren sich auch Stakeholder in Scheidungs- und Trennungsangelegenheiten, d. h. Sozialarbeiter*innen, Richter und Kinderanwält*innen. Regelmässig beauftragen Gerichte und die KESB die am Institut arbeitenden Psycholog*innen mit dem Erstellen von Gutachten.

Weil die Forschung des Marie Meierhofer Instituts eine derart wichtige Grundlage beim Verständnis von Kindern zu sein scheint, habe ich mich letzte Woche per Mail mit folgenden Fragen an die Kontaktadresse gewandt:

1. Auf Ihrer Website schreiben Sie, dass sich die Forschung des Marie Meierhofer-Instituts auf die frühe Kindheit konzentriert. Könnten Sie

a) „frühe Kindheit“ genauer definieren und

b) mir darlegen, ob und inwiefern sich Trennung und Hochstrittigkeit der Eltern unterschiedlich auf betroffene Kinder in Stadien der „frühen Kindheit“ und Phasen der „späteren Kindheit“ auswirken?

2. In einem Artikel der NZZ aus dem Jahr 2001 bestreitet der damalige Leiter des Marie Meierhofer-Instituts, dass es das Parental Alienation Syndrome (PAS), wie es von Richard Gardner im Jahr 1985 erstmals beschrieben wurde, gebe.

https://www.nzz.ch/article7RYPO-1.497112?reduced=true

a) entsprechen diese Aussagen auch Heute noch dem aktuellen Forschungsstand des Marie Meierhofer-Instituts? Weshalb (nicht)?

b) Falls ja: Welche Hauptargumente führen Ihre Fachleute gegen die Existenz einer durch einen Elternteil induzierten Eltern-Kind-Entfremdung an?

c) Für den Fall, dass Ihre derzeitigen Forschungen von der Möglichkeit einer induzierten Eltern-Kind-Entfremdung ausgehen: Gibt es dabei qualitative Unterschiede, was das Alter der betroffenen Kinder angeht?

3. Welchen Standpunkt vertritt das Marie Meierhofer-Institut, wenn es um die von entfremdeten Eltern geltend gemachte Diskrepanz zwischen „Kindeswohl“ und „Kindeswille“ geht? Muss dabei der geäusserte Wille eines urteilsfähigen Kindes in jedem Fall dem Kontakt zu beiden Eltern übergeordnet werden?“

Gleich am Montag Morgen antwortete mir Dr. Phil Heidi Simoni, die aktuelle Direktorin des Marie Meierhofer Instituts wie folgt:

„…In einem Artikel habe ich mich 2005 ausführlich mit dem PAS beschäftigt. Unsere grundsätzliche Kritik am Konzept und unseren Bedenken an dessen Nützlichkeit gelten immer noch.

Zu Ihren weiteren Fragen sende ich ihnen mit dieser und einer zweiten Mail drei neuere Beiträge von Mitarbeiterinnen.“

In den folgenden Beiträgen werde ich für euch die Quintessenz dieser Beiträge zusammenfassen. Daraufhin werde ich versuchen, die gewonnenen Erkenntnisse auf unseren Fall anzuwenden.

Im Artikel „Der Kindeswille bei jungen Kindern – Gedanken und Erfahrungen aus der psychologischen Arbeit am Marie Meierhofer Institut für das Kind“ beschäftigen sich die Kinderpsycholog*innen G. von Sahlis, k. Hardegger und S. Brunner in der Ausgabe 106 der Zeitschrift „und Kinder“ im Dezember 2020 mit der Frage, ob kleine Kinder bereits einen eigenen Willen haben und falls ja, wie sie diesen zum Ausdruck bringen bzw. wie Bezugspersonen und Fachleute diesen erkennen können.

Alle im Artikel aufgeführten Beispiele beziehen sich auf Kinder im Alter zwischen 0 und 6 Jahren.

Die Autor*innen kommen zum Schluss, dass bereits Säuglinge deutlich ihren (Un)willen kundtun können, indem sie sich z. B. gegen das Aufnehmen durch eine Bezugsperson sperren oder die Aufmerksamkeit eines Elternteils durch hartnäckiges Auf-sich-Aufmerksam-machen zu gewinnen suchen. Insbesondere bei jungen Kindern sind diese Willensbekundungen noch stark im Hier und Jetzt verortet, und sie haben die unmittelbare Befriedigung von emotionalen oder körperlichen Bedürfnissen zum Ziel.

Schon sehr früh (illustriert am Beispiel eines 2jährigen Jungen), sind Kinder dann aber in der Lage, bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse auch die Reaktionen ihrer Bezugspersonen mit einzukalkulieren. Muss das Kind gewärtigen, dass die Reaktion negativ ausfallen wird, so kann es das eigene Bedürfnis zurückstellen.

Bei noch etwas älteren Kindern mit fortgeschrittenem Spracherwerb können Willensäusserungen durchaus widersprüchlich ausfallen. So kann ein Kind gleichzeitig zum Vater gehen und dabei immer bei der Mutter sein wollen. in solchen Situationen obliegt es dann den erwachsenen Bezugspersonen herauszufinden, wie diese auf den ersten Blick unvereinbaren Wünsche vielleicht doch miteinander in Einklang gebracht werden könnten.

Kinder können ihren Willen also verbal (durch Worte) wie auch nonverbal (Gesichtsausdrücke, Körperhaltung, etc.) zum Ausdruck bringen. Bezugspersonen können Kinder in ihrer Willensbildung bestärken, indem sie sie schon früh bei Entscheidungen miteinbeziehen; als Beispiel wird die Gestaltung eines kindergartenfreien Nachmittags angeführt (zu Hause bleiben vs. auf den Spielplatz gehen).

Muss eine aussenstehende Fachperson, welche das Kind und seine üblichen Verhaltensweisen nicht kennt, herausfinden, ob es sich bei einer Willensäusserung um eine vorübergehende Laune oder ein tatsächlich bestehendes Anliegen, auch Kindeswille genannt, handelt, dann müssen während einer längerfristigen Beobachtung bzw. Interaktion von der Fachperson die folgenden vier Merkmale festgestellt werden können: Zielorientierung, Intensität, Stabilität und Autonomie.

Der Kinderrechtspsychologe H. Dettenborn definiert den Kindswillen als „Meinungen,Äusserungen und Wünsche eines Kindes zu Angelegenheiten, die für das Kind persönlich bedeutsam sind.“

Auch im Hinblick auf die UN-Kinderrechtskonvention ist es für die Autor*innen unverzichtbar, dass der Wille auch sehr junger Kinder bei Entscheidungen, die sie persönlich betreffen, mit berücksichtigt wird.

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