06.03.2021 (Vormittag)

Bitte entschuldigt, dass ich euch Gestern vergeblich auf einen Beitrag habe warten lassen, aber ich musste endlich mein Versprechen gegenüber meinen Mitstreiter*innen von der „Aktionsgruppe Nothilfe“ einlösen und den lange überfälligen Newsletter verfassen.

Gestern hatte ich zudem ein äusserst erfreuliches Telefonat mit einer Bekannten, die ich aus einer ganz besonderen Zeit meines Lebens kenne. B. und ich haben uns nämlich 2005 auf der offenen Station einer psychiatrischen Klinik im Kanton Zürich kennengelernt, wo wir uns beide wegen Depressionen behandeln liessen. Nein, es sind keine schweren und düsteren Erinnerungen, die ich mit diesem Aufenthalt verbinde. Nicht nur durfte ich dort ausgesprochen interessante und distinguierte Persönlichkeiten  kennenlernen, in vielerlei Hinsicht gaben mir die überwiegend top geschulten Mitarbeiter*innen dort auch die Gelegenheit, einen Teil meiner Pubertät nachzuholen.

Generell muss ich sagen, dass ich – abgesehen von einigen Ausnahmen – sehr positive Erfahrungen mit psychiatrischen Institutionen und dem dort arbeitenden Personal habe machen dürfen. Während meiner beiden Aufenthalte im Psychiatrischen Zentrum Münsingen, die ich wegen der Ereignisse rund um die Entfremdung R.s in Anspruch nehmen musste, wurde ich mit meinen Bedürfnissen auf eine geradezu vorbildliche Weise Ernst genommen. Kein einziges Mal musste ich dort einen Machtkampf ausfechten. Niemals hatte ich den Eindruck, dass ich nicht auf Augenhöhe behandelt worden wäre. Nie wurde mir vermittelt, dass meine Emotionen krank und deshalb illegitim wären. Und das, obgleich der Terminus „Eltern-Kind-Entfremdung“ – zumindest beim ersten Aufenthalt – noch gar nicht zur Debatte stand.

Diese Einschätzung der behandelnden Fachleute schlägt sich auch in den Berichten vom September 2019 und vom Februar 2020 nieder. Man stellte mich weder als aggressiv dar, noch sah man mich als indifferente, nicht bindungstolerante Mutter an, die es um jeden Preis darauf anlegen würde, den Kindsvater schlecht zu machen. Und selbstverständlich enthalten die Berichte auch keine Anzeichen darauf, dass ich im Zusammenhang mit den geschilderten Ereignissen gelogen hätte.

Es ist schon bezeichnend, dass weder diese Berichte noch die im Juni 2020 von meinem behandelnden Psychiater eingereichte Diagnose in der Entscheidfindung bzw. der Entscheidbegründung ihren Niederschlag fanden; sie werden nicht einmal erwähnt. Das ist umso erstaunlicher, als die damals für mich zuständige Superpsy im Februar 2020 während des Gutachtensprozesses den Fachpsychologen Huggler von der Erziehungsberatung Thun (nota Bene kein Mediziner!) noch extra kontaktiert hat.

Aber nein. Es scheint in diesem Kinderzuteilungsgewerbe von Angehörigen der Spezies Homo Omnipotens“ geradezu zu wimmeln, von „Fachleuten“ also, die weder die Expertise ihrer Kolleg*innen nötig haben noch eine Veranlassung sehen, einen Fall abzugeben, wenn sie ganz offenkundig ihre eigenen Grenzen erreicht haben, in einer verfahrenen Situation selbst also nicht mehr weiterkommen.

Wie R.s Beiständin, die Sozialarbeiterin FH Nathalie Chaudhary etwa. Sie ist zweifelsohne eine sehr engagierte Frau, die zuweilen auch unkonventionelle Ideen hat und für die der Arbeitstag nicht strikte um 17.00 Uhr endet. Doch leider fällt es ihr schwer, sich von ihren stets politisch korrekten Rollenbildern zu lösen, da ist es einfacher, wenn „es gewisse Eltern gibt, die sehr gut darin sind, Drittpersonen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.“ (O-Ton, nachdem die Tagesschulleiterin rückgemeldet hatte, dass R. panisch sein Häkelzeug im Rucksack zu verstecken suchte, als er seinen Vater über den Schulhof kommen sah).

In Nathalie Chaudharys Fall endete dieses Überengagement darin, dass sie im Februar 2019 zwar feste Abmachungen mit dem Grossvater und dem Kindsvater schriftlich festhielt, dann, als der Kindsvater sich völlig darum foutierte, davon aber wieder Abstand nahm mit ihrer üblichen Begründung: „Sie können Herrn Djellal eben nicht ändern.“

Ins selbe Kapitel fällt, dass Frau Chaudhary sehr wohl über meine finanziellen Schwierigkeiten Bescheid wusste und mir deshalb auch riet, eine Klage zwecks Anpassung der Obhut und des Unterhalts bei Gericht einzureichen, sich dann aber urplötzlich auf die Seite des Vaters schlug, als es darauf ankam.

Spannend bei der Analyse solch Angehöriger der Spezies „Homo Omnipotens“ ist aber auch, was sie plötzlich nicht gewusst haben wollen. Da übt eine Frau seit vier Jahren die Beistandschaft für ein Kind aus, wohl wissend, dass die Mutter über die gesamte Zeit hinweg mit massiven finanziellen Schwierigkeiten gekämpft hat. Als die Mutter ausrastet, nachdem man ihr über sage und schreibe fünf Monate hinweg ohne rechtsfähige Verfügung, ja sogar ohne schriftliche Verwarnung, sämtliche Zahlungen nicht nur der Sozialhilfe, sondern auch der Ausgleichskasse zurückgehalten hat, will Beiständin Nathalie Chaudhary, die wohlgemerkt in den selben Räumlichkeiten des dafür verantwortlichen Sozialdienstes arbeitet, davon partout nichts gewusst haben?

Auch ich bin während meiner Arbeit für den Verein Give a Hand.ch immer wieder mit schwierigen Situationen konfrontiert. Es ist mir deshalb ein Anliegen, mein Handeln den Klienten gegenüber regelmässig einer sehr strengen Selbstreflexion zu unterziehen. Habe ich die Person, die mir eben gegenübersass, gerade mit Wertschätzung, d. h. auf Augenhöhe, behandelt? Traue ich mir diesen Fall fachlich und/oder emotional zu, oder muss ich den Klienten zu einer alternativen Anlaufstelle begleiten?Muss hier eine professionelle Rechtsvertretung eingeschaltet werden? Wenn ja, wie finanzieren wir die?

Professionelles Handeln besteht meiner Ansicht nach nicht nur darin, sich genügend Fachwissen zu bestimmten Themen anzueignen, Es setzt daneben auch ganz viel ungeschönte Reflexion über sich selbst, aber auch über das System, für das man tätig ist, voraus. Das Ziel kann nie darin bestehen, überall beliebt zu sein; Ideale haben, Ideologien aber haben keinen Platz in der professionellen Arbeit mit Klienten.

Klienten sind, insbesondere dann, wenn sie Traumata und/oder Diskriminierungserfahrungen mitbringen, ausserordentlich darauf sensibilisiert wahrzunehmen, ob die Fachperson, die ihnen gegenübersitzt, nun einfach Theorien von sich gibt, die sie irgendwo gelesen hat, oder ob sie selbst bestimmte Lebenserfahrungen mit ihnen teilt. Kliennten erkennen an der Körperhaltung, der Stimmlage, dem sprachlichen Ductus und – ganz wichtig! – an dem, was nicht erwähnt wird, ob die Fachperson sie für voll nimmt oder nicht. Auch widersprüchliches Verhalten wird sofort registriert, denn es führt beim Klienten sofort zu Verunsicherung. Weiss die oder derjenige, der mir hier helfen soll überhaupt, was er tut?

Damit will ich nicht sagen, dass man als professionelle Helferin seine Vorgehensweise nie anpassen sollte. Auch Klienten verfügen über eine ganze Menge Lebenserfahrung, und das ist eine nicht zu unterschätzende Ressource, welche die Fachperson unbedingt nutzen muss. Aber sie sollte dabei transparent bleiben. Der Klient oder die Klientin hat das Recht, zu jedem Zeitpunkt nachvollziehen zu können, wie die zuständige Fachperson in seinem oder ihrem Fall nun weiter vorzugehen gedenkt. Dabei kann man sich nicht einerseits Unparteilichkeit auf die Fahne schreiben, um dann in der Praxis aber jedes Mal ein Auge zuzudrücken, wenn der Kindsvater sich wieder um eine Abmachung foutiert hat. Ein solcher Widerspruch wird die Klientin durchgehen lassen, einen Zweiten vielleicht auch – doch zieht sich das Muster durch, dann hat die Fachperson ihre Glaubwürdigkeit und damit ihre Legitimation verloren.

Will man effizient und wirkungsvoll helfen, dann darf man Konflikte und unangenehme Fragen nicht scheuen. Weder sich selbst,seinen Klienten, seinenArbeitskolleg*innen oder Mitstreitern noch seinen Vorgesetzten gegenüber. Ich bin mir bewusst: Das sind verdamt hohe Anforderungen, die ich da stelle, und ich bin weit davon entfernt vorzugeben, dass ich selbst sie immer und jederzeit einzuhalten imstande bin. Doch ich will daran festhalten, denn ich weiss nur allzu genau, wie es sich anfühlt, in der Rolle der Klientin zu sein.

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