Guten Tag Herr Rechtsanwalt Herzig
Am 21.12.2020 ist der Entscheid des Regionalgerichts Bern-Mittelland betr. meines Sohnes Rachid ergangen. Bis Dato hat es die zuständige Gerichtspräsidentin Rickli trotz kurzum eingereichter Begehren beider Parteien nicht geschafft, den Entscheid schriftlich zu begründen. Gleichzeitig aber wurden Kostennoten aller beteiligten Anwälte und des Gutachters, dessen Arbeit sich offenkundig als nutzlos herausgestellt hat, gutgeheissen. Die Summen, die hier im Zuge der unentgeltlichen Rechtspflege gewährt werden, habe ich sehr wohl zur Kenntnis genommen.
Obgleich das Gericht zum Schluss gekommen ist, dass mir als Mutter von Rachid das Sorgerecht hälftig zu belassen ist, erfahre ich bislang keinerlei Auswirkungen dieses Urteils. Auch die Tatsache, dass sich der Kindsvater in seinen Aussagen der Gerichtspräsidentin und meines Anwalts gegenüber durchwegs als Lügner entpuppt und meine schriftlich eingereichten Aussagen damit indirekt bestätigt hat, ist allen Beteiligten sehr wohl bekannt.
Trotzdem werde ich als Kindsmutter weiterhin behandelt, als existierte ich nicht. Das mittlerweile von Rachids Schule durchgeführte Elterngespräch fand ohne mich statt. Der eingesetzte Psychologe der Erziehungsberatung, der mich im Übrigen sehr wohl kennt – sich bei einer direkten Begegnung aber ganz sicher an das Gespräch zwischen ihm, meinem Vater und mir vom Juni 2019 erinnern wird -, hat es bislang nicht für nötig befunden, mich zu kontaktieren und sich meine Seite der Geschichte zumindest einmal anzuhören. Ein Beistand ist von Seiten der KESB Bern wohl bis Heute nicht eingesetzt worden…
Alle Beteiligten in diesem Verfahren geben vor, dass Ihnen das Wohl des Heute 11jährigen Kindes Rachid am Herzen läge. Sie massen sich ja auch an, dessen Bedürfnisse besser einschätzen zu können als die Mutter, die das Kind über 9 Jahre hinweg ohne Beanstandungen grossgezogen hat.
Herr Herzig. Können Sie sich vorstellen, dass ich zwischenzeitlich gute Lust habe, Ihnen Allen einfach mal eine reinzuhauen? Wie können Sie für sich in Anspruch nehmen, das Beste für mein Kind zu wollen, und gleichzeitig über anderthalb Jahre lang NICHTS unternehmen? Schlimm genug, dass ich mich im März 2020 durch das Nichtstun und das Hin-und-her-Schieben der Verantwortung gezwungen sah, auf die Obhut für Rachid zu verzichten, weil dieser offensichtlich damals durch den Vater schon derart entfremdet war, dass die Situation irreversibel war! Jede Annäherung unsererseits wurde ja in beinahe orchestrierter Weise von den sogenannten „Fachpersonen“ immer wieder abgewehrt. Schlimm genug, dass ich danach auch noch mit dem Entzug des Sorgerechts bedroht wurde, nur weil ich mich nicht endlich dazu durchringen wollte, den Mund zu halten. Schlimm genug, dass man zuerst ein Jahr lang meine Warnungen und Hilferufe ignorierte, um mir danach in teilweise aggressiver und durchweg höchst überheblicher Weise – und dies immer mit der vorgeblichen Sorge um Rachids Kindswohl – jeden Kontakt zu meinem Sohn zu untersagen.
Ich weiss nicht, in welchen Sphären Sie und Ire Berufskollegen unterwegs sind. Was ich weiss ist, dass vielen unter Ihnen elterliche Gefühle vollkommen fremd, ja geradezu unheimlich sein müssen. Wie sonst liesse sich ein solches Vorgehen einer Mutter gegenüber erklären? Einer Mutter nota Bene, die nicht im luftleeren Raum ein Kind grossgezogen hat, sondern stets in Zusammenarbeit mit KiTa, Kindergarten, Schule und Tagesschule gehandelt hat. Institutionen allerdings, deren Vertreter, wenn es darauf ankommt, jegliche Verantwortung oder auch nur Stellungnahme aufs Schärfste zurückweisen.
Wissen Sie was, Herr Herzig? Das hier ist eine verdammte Bananenrepublik. Zwar werden solche Willküraktionen Heute unter dem Deckmäntelchen der Rechtsstaatlichkeit auf Kosten der Allgemeinheit betrieben, aber einen Unterschied zu früheren fürsorgerischen Zwangsmassnahmen kann ich auch bei wohlwollendster Betrachtung nicht feststellen. Da bittet eine Mutter jahrelang um Hilfe, weil sie genau voraussieht, dass es mit ihrem Exmann in bestimmten Bereichen Probleme geben wird, die ohne fremde Hilfe nicht lösbar sind. Man ignoriert sie, tut ihre Bedenken als übertrieben ab, beschuldigt sie sogar, sie „sei eben geschickt darin, Dritte für sich einzunehmen.“. Man ignoriert die Mutter auch dann noch, wenn das Kind in der Schule auffällig wird und sich einkotet. Man erstellt Pläne, an die sich der Kindsvater nicht hält – es wird ignoriert. Man kassiert als angeblicher Kinderpsychologe über 2000 Franken ab, um sich schliesslich zu weigern, einen Verlaufsbericht zu verfassen. Der Vater foutiert sich um alle Abmachungen – aber man ignoriert es.
Bis die Mutter ausrastet. Bis sie auf den Tisch haut und ihrem Unmut Luft verschafft.
Leider kann man sie dafür nicht mehr einsperren, aber man kann ihr das Kind wegnehmen. Man kann verfügen, dass es mit dem Vater nach Algerien geht – wovon es zwar zurückkommt, aber nie wieder nach Hause…
Wissen Sie, Herr Herzig. Ich weiss wohl, dass Sie ganz genau verstehen, was ich Ihnen hier schreibe. Schliesslich haben Sie dafür gesorgt, dass „der intelligenten Frau Müller“ das Sorgerecht nicht weggenommen worden ist.
Jetzt aber bitte ich Sie wirklich: Wenn Ihnen das Wohl von Rachid tatsächlich am Herzen liegt, wie Sie es immer betonen, Dann sorgen Sie dafür, dass jetzt endlich etwas passiert. Und sorgen Sie um Himmels Willen auch dafür, dass dieses erhaltene Sorgerecht für mich auch etwas wert ist. Es bringt mir nichts, wenn ich auf dem Papier zwar hälftig sorgeberechtigt bin, in Realia aber so verfahren wird, als existierte ich gar nicht.
Mehr als anderthalb Jahre haben meine Familie und ich damit leben müssen, dass wir unwidersprochen und ungestraft verleumdet werden durften. Rachid konnte ungehindert in der Annahme bestätigt werden, dass das, was sein Vater mit ihm gemacht hat, rechtens sei. Aber das ist es nicht! Wenn Ihnen die psychische Unversehrhtheit dieses Kindes am Herzen liegt, dann sorgen Sie nun bitte dafür, dass die von uns seit September 2019 beantragten Massnahmen endlich umgesetzt werden. Und bitte tun Sie das in einer Weise, der sich der Vater nicht entziehen kann.
Herr Herzig. Ich weiss, dass ich hart war zu Ihnen. Aber in diesem gesamten Verfahren hatte ich den Eindruck, dass Sie der Einzige waren, der die von allen Beteiligten immer wieder für sich in Anspruch genommene „professionelle Distanz“ wirklich konsequent zu wahren imstande war. Bitte sehen Sie mir also die kleinen Seitenhiebe nach. Ich schreibe Ihnen als Mutter eines heute 11jährigen Kindes, das ich seit über anderthalb Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich schreibe Ihnen aber auch als das kleine blinde Mädchen, welches vor gut 30 Jahren als Vorzeigeschülerin erstmals vom Kindergarten an an der öffentlichen Schule unterrichtet wurde. Dieses Mädchen wusste um die Anfeindungen und Vorbehalte, denen seine Eltern damals ausgesetzt waren. Das Projekt „Integration“ durfte nicht scheitern. Diese Genugtuung wollte das kleine Mädchen all denen, gegen die sich seine Eltern durchgesetzt hatten, nicht gönnen.
Aber spätestens ab der 5. Klasse hatte das kleine mädchen keine Freunde mehr. Es verbrachte seine Freizeit allein, war zunächst aggressiv, später zog es sich immer mehr zurück. Nach aussen spielte es seine Rolle perfekt weiter. Es schrieb bis zum Schluss Bestnoten, obgleich es im Alter von nur vierzehn Jahren sicher war, spätestens in einem halben Jahr an einem bösartigen Gehirntumor zu sterben. Dass die Konzentrationsschwierigkeiten Ausdruck einer Depression waren, wusste das Mädchen damals nicht.
Erst, als es einen Nervenzusammenbruch erlitt und drei Tage lang fast ununterbrochen weinte, brachte die Mutter das Mädchen zu einem Arzt. Das Projekt „Integration“ wurde daraufhin abgebrochen, das Mädchen kam in eine Deutsche Blindenschule, doch es dauerte weitere fünfzehn Jahre, bis es das Gefühl, versagt und am Scheitern selbst Schuld gewesen zu sein, intellektuell aufgearbeitet hatte.
Während Rachids Erziehung hatte ich dieses kleine, angsterfüllte Mädchen immer vor Augen. Sicher ist es mir nicht immer gelungen, Zwischentöne, die von Rachid kamen, wahrzunehmen, aber ich kann doch sagen, dass ich seine Signale nicht ignoriert habe.
Jetzt ist das anders. Für mich ist es schwer erträglich zu wissen, dass es nun Rachid ist, der die Bedürfnisse seines Vaters über seine eigenen stellen muss. Dass es Rachid ist, der durchhalten wird, weil er genau weiss, was für seinen Vater auf dem Spiel steht. Auch Rachid wird wissen: Das Projekt „beim Vater leben und die Mutter ablehnen“ MUSS gelingen!
Was soll ich noch sagen? Bitte behalten Sie diese Zeilen im Hinterkopf und vergessen Sie Rachid nicht. Kinder sind keine Fälle, die man bearbeiten und danach abschliessen kann. Getroffene Massnahmen müssen so gewählt sein, dass die Kinder auch nach der eigenen Fallübergabe verlässliche Ansprechpartner haben – auch ausserhalb des Elternhauses. Das ist Ihre Aufgabe, Herr Herzig, ansonsten werden all Ihre Ausführungen zum Thema Kindswohl eines Tages von Rachid ad absurdum geführt. Sie übernehmen in einem gewissen Sinne meine Rolle, Herr Herzig, nämlich die, das Kind, zu dem ich momentan keinen Kontakt mehr haben darf, zu schützen. Entweder sorgen Sie jetzt dafür, dass ich meine Aufgaben wieder teilweise selbst wahrnehmen kann, oder Sie installieren Massnahmen, die vom Vater nicht umgangen werden können.
In diesem Sinne vertraue ich auf Ihre Erfahrung und Ihr Urteilsvermögen und gehe davon aus, dass Sie mich zeitnah über die getroffenen Massnahmen informieren werden.
Freundliche Grüsse
Annelies Müller