17.02.2021, Mittag

Nur ganz kurz, denn ich muss gleich ins Büro.

Ich wollte euch nur rasch für die Kommentare danken. Es tut gut zu wissen, dass ihr mitlest.

F. meinte, ich solle ein Buch schreiben. Das ist ein grosses Projekt, und dazu noch so persönlich. Es soll ja keins dieser „Ich machte Bekanntschaft mit dem Islam und das kostete mich mein Kind“-Biographien werden. Davon gibts wahrlich genug. Wenn ihr „Bezness“ und „1001 Geschichten“ im Google eingebt könnt ihr Dutzende Berichte von Frauen lesen, denen ihre Kinder von (leider meist muslimischen) Ex-Männern weggenommen wurden.

Aber so einfach ist R.s Geschichte nicht, obgleich ich davon ausgehe, dass sowohl der kulturelle Hintergrund des Vaters als auch meine Blindheit in diesem Prozess eine Rolle gespielt haben. @A.: Natürlich lautet die offizielle Begründung dafür, dass ich mein Kind nicht mehr sehen darf nicht, dass es auf Grund meiner Blindheit sei! Strukturelle Diskriminierung funktioniert viel unterschwelliger hier in der Schweiz, denn schliesslich sind wir Weltmeister darin, das Wichtigste nicht zu sagen.

Dass aber nebst der Faul- und Feigheit aller beteiligten „Fachpersonen“ diskriminierende Klischees hineingespielt haben, ist unbestritten. So zum Beispiel ist man landläufig davon überzeugt, das die neue Ehefrau des Vaters, Fauzia Elmetmati, auch ein Opfer sei. Eine Lesart, die ich trotz ihres feinen Stimmchens und ihres ätherischen Aussehens (O-Ton mein Anwalt) ganz klar bestreite. Spätestens seit der Geburt ihrer Tochter Lynn muss sie wissen, wie eine Mutter fühlt. Sie hat den Entfremdungsprozess jedoch stets mitgetragen, ihn nie aktiv bekämpft. Damit ist sie in meinen Augen Mittäterin, genauso wie ihre in Ostermundigen lebende Tante, mit der ich Ende August 2019 mehrere vernünftige Telefongespräche geführt habe. Ich habe damals – aus der Psychiatrie in Münsingen heraus – an ihr eigenes Muttersein appelliert, habe darum gebeten, dass man die Angelegenheit gemeinsam an einem Tisch bereinige…Doch Blut (oder Geld?) scheint dicker als Mutterschaft zu sein. Nie ist ein derartiges Gespräch zustande gekommen…

Womit wir schon wieder mitten in der Geschichte und damit an deiner Idee vom Buch, @liebe F., wären. Das Projekt Buch ist mir gegenwärtig zu gross. Der Vorsatz würde sich vor mir aufbauen wie ein gewaltiger, nicht zu überwindender Berg.

Deshalb schreibe ich mit euch zusammen, Stück für Stück. Nicht erst seit R.s nicht erfolgter Rückkehr im August 2019 habe ich lernen müssen, Tag für Tag zu leben. Schon der Gedanke, Pläne für den nächsten Monat zu machen, befremdet mich irgendwie. Manchmal schockiere ich meine Gegenüber mit der Aussage: „Ich weiss ja gar nicht, ob ich dann noch lebe.“

Das hat nichts Suizidales, ist auch nicht fatalistisch. Dahinter steckt lediglich die Einsicht, dass wir nur sehr begrenzt Einfluss auf unser zukünftiges Leben ausüben können. Auch die Weltbilder und Gewissheiten, an die wir uns klammern und an denen wir unser Handeln orientieren, entpuppen sich doch nicht selten als überholungsbedürftig.

R.s Geschichte ist dafür wohl der beste Beweis. Das Rechtssystem, das mir als Garantie dafür erschien, bei anständigem Verhalten positiv und bei destruktivem Verhalten negativ sanktioniert zu werden, hat sich als Farce herausgestellt. Mein Selbstverständnis als Mensch, bei dem das Muttersein einen wesentlichen Bestandteil ausmachte und eine der Stützen meines Selbstvertrauens bildete, ist wie ein Kartenhaus zusammengebrochen.

Deshalb ist das Schreiben hier ein Weg für mich, ein Weg nicht nur aus der inneren Emmigration heraus, sondern auch ein Stück weit zurück zu mir selbst. Ich muss meine eigene Geschichte zurückerobern, wenn ich nicht selbst eines Tages – ganz im Sinne der self-fulfilling Prophecy – dem Bild entsprechen will, das die sogenannten Fachpersonen von mir gezeichnet haben. Dem Bild der eifersüchtigen, auf Rache sinnenden Ex, die dem armen Vater sein neues Glück nicht gönnt und diese negativen Emotionen ’nicht von R. fernzuhalten vermag.

Denn das stimmt nicht, und ich kann es beweisen. Ich habe nicht nur sämtliche Emails mit der Beiständin aufbewahrt, sondern auch die gesamten Prozessakten. Hätte ich diese Gewissheit nicht, würde ich nicht schreiben.

Selbstverständlich habe ich Fehler gemacht und Dinge gesagt, die ich aus heutiger Sicht bereue. Ganz hässliche Sachen waren das, das gebe ich zu, doch wenn du es mit einem Gegenüber zu tun hast, das jeder direkten Konfrontation ausweicht, das hinterrücks dein Kind beeinflusst, das Lügen und Unwahrheiten verbreitet und damit immer wieder durchkommt…Und du merkst, dass dir das eigene Kind, das du zu kennen glaubtest wie dein zweites Ich, dir langsam und unwiderbringlich entgleitet…Dann kriegst du es mit einer schrecklichen Angst zu tun. Und die Angst ist selten ein guter Ratgeber.

Nein. Ich werde versuchen, nichts zu beschönigen. Wenn ich hässliche Dinge getan habe werde ich es euch erzählen, aber ich werde dabei gleichzeitig den Kontext schildern, in dem diese Kontrollverluste stattfanden.

Damit will ich sagen: Ich glaube, dass ich euch während dieses Aufarbeitungsprozesses brauche. Ich muss mir vorstellen können, euch als Gegenüber zu haben, das reflektiert, nachfragt, mitdenkt, vielleicht auch mal konstruktiv Kritik übt.

Ganz ehrlich: Ist das zu viel verlangt?

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